Beziehungsaufbau in synchronen digitalen Settings

digital menschlich

In der Digitalen Lehre sind Möglichkeiten für Beziehungsaufbau deutlich besser, als man meinen könnte. Allerdings sind sie nicht schon durch das Teilnehmen an einer Veranstaltung gegeben, sondern müssen aktiv angewandt oder auch erst programmiert werden wie alles im digitalen Raum. Alle Funktionen, die wir nutzen, sind programmiert worden und werden mit der Zeit immer besser unseren Bedürfnissen angepasst. Z. B. die optionale Farbeinstellung am Bildschirm:

Um nachts besser zu schlafen, hast Du vielleicht die Einstellung an Deinem Bildschirm so gewählt, dass sie ab 21 Uhr die Blautöne reduziert. Du hast vielleicht beobachtet, dass die dunkler werdende Umgebung dich abends beruhigt und müde macht. Wählen kannst Du diese Einstellung überhaupt nur, weil früher jemand anderes beobachtet hat, dass die Farbverhältnisse in der analogen Umgebung variabel sind, dass ein wärmerer Farbton den natürlichen Lichtverhältnissen am Abend entspricht und es diesbezüglich individuelle Bedürfnisse gibt. Darum wurde das Tool der optionalen Bildschirm-Farbeinstellung implementiert und Du hast dieses Tool dann angewandt.

Um also Beziehungsaufbau im digitalen Setting zu ermöglichen, musst Du berücksichtigen, was es dafür braucht und dann die entsprechenden Tools anwenden.

Wie lernen wir uns im analogen Setting kennen?

Stell Dir vor, Du bist neu an der Uni und sitzt in einer Anatomie Vorlesung für Dein Medizinstudium. Es sind 60 Studierende im Hörsaal und Du lässt den Blick durch die Reihen schweifen. Ein paar einzelne Personen sind Dir beim Reinkommen schon aufgefallen: Die große Blonde mit dem hellblauen Shirt könnte interessant sein, wirkt zielstrebig und konstruktiv. Der Typ mit den lockigen Haaren hat eine sympathische Lache. Er war vorhin in einer Gruppe gestanden und hat Witze gemacht.

Es geht los. Der Dozent kommt rein und auf den meisten Plätzen setzen sich die Kommilitonen nochmals etwas zurecht und schauen gerade nach vorn. Du bist motiviert, schreibst viel mit und schaust konzentriert auf die Präsentation, während der Dozent spricht. Du schaust öfter mal zu den beiden rüber, die dir aufgefallen sind und eure Blicke treffen sich. Zwischendurch lehnst Du dich entspannt zurück. Du willst zwar engagiert rüberkommen, aber nicht wie ein Langweiler. Der Typ mit der sympathischen Lache sitzt im Block links von Dir, ein paar Reihen weiter oben. Die große Blonde sitzt weiter unten, ganz rechts, aber im gleichen Block wie Du. Nach der Vorlesung packst Du deine Tasche so, dass Du ungefähr zur gleichen Zeit wie der Typ in den Treppengang kommst. Du schaust ihn direkt an und während Du grinst, wirfst Du Dir lässig die Tasche um und gehst zusammen mit ihm runter. Ihr beginnt ein Gespräch und dabei fällt Dir auf, dass die große Blonde unten in einer 3er-Gruppe stehengeblieben ist. Unwillkürlich steuerst Du zusammen mit deinem neuen Gesprächspartner auf die 3er-Gruppe zu.

Identifizierte Prozess-Elemente im Beziehungsaufbau

  • sich gegenseitig wahrnehmen können
    • Verhaltensweisen beobachten
    • individuelle Sympathien ermöglichen
  • Annäherung räumlich herstellen können

Prozess-Elemente in Tools einbauen

Am Anfang eines jeden Beziehungsaufbaus steht also die Möglichkeit, sich gegenseitig wahrzunehmen. Wie bei der optionalen Farbeinstellung für Bildschirme, muss auch die Funktion der gegenseitigen Wahrnehmung aktiv hergestellt werden, um die natürliche Begegnung im Vorfeld und während einer Vorlesung zu imitieren. In der ersten Wahrnehmung-Phase finden bereits viele unbewusste Entscheidungen bzgl Beziehungsaufbau statt und diese Selektion ist bei uns Menschen sozialpsychologisch grundlegend.

Der unscheinbare Technik-Check

Im Online Setting kann der Dozent den Teilnehmenden z. B. über einen moderierten Technik-Check das Beobachten von Verhaltensweisen und Sympathien ermöglichen:

  • Erstes Sehen und Hören:
    • Die Teilnehmer-Liste wird alphabetisch durchgegangen, jeder Name einzeln aufgerufen und um eine Anwesenheitsrückmeldung mit Kameraübertragung und Ton gebeten
  • Erstes Beobachten von Verhalten:
    • Die Funktion ‚Umbenennen‘ wird erklärt und von allen getestet, indem ein Alias dem eigenen Namen vorangestellt wird
    • Die Chat-Funktion wird getestet mit Chatstorm, z. B. zu einer thematisch passenden oder einer unerwarteten Frage zu thematischen Trivia
    • Der Bildschirm wird geteilt und die Kommentarfunktion erklärt und getestet, z. B. indem alle auf einer vorbereiteten Landkarte ein Fähnchen an ihrem Heimat- oder Studienort stecken.
  • Erste Annäherung:
    • Es werden Braekout-Sessions erzeugt, die markante Namen haben (berühmte Forscher oder Hochschulen, verschiedene Sportarten, Hogwartshäuser o. ä.).
    • Die Funktion ‚Umbenennen‘ wird von allen getestet und dem eigenen Namen ein Raum vorangestellt.
    • Braekout-Sessions mit Timing werden erklärt und ggf eine organisatorische Aufgabe erteilt (z. B. die Vorerfahrungen zum Thema der Vorlesung zu ermitteln). Die Räume werden dann 10 Min getestet, indem jeder sich selbst einem Raum zuordnet, dort Kommilitonen treffen und/oder Räume wechseln kann

Insgesamt wird sich allein durch diesen moderierten Technick-Check eine Dynamik entwickeln.

Im weiteren Verlauf der Vorlesung kann diese Dynamik durch Wiederholung ähnlicher Interventionen aufgefrischt, umgelenkt oder vertieft werden.

Die Mehrheit der Teilnehmenden wird durch diese Tools schon einen Beziehungsaufbau begonnen haben.

In einzelnen Fällen können sich sogar schon erste Teams gebildet haben.

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